Amazonia / Sebastiao Salgado – das neue Buch

die Naturschönheiten des Regenwaldes am Amazonas und die Vielfältigkeit der dortigen indigenen Bevölkerung,
festgehalten in faszinierenden Schwarzweißbildern von Sebastião Salgado. (Buchrezension)

In seinem Vorwort schreibt Salgado: „Für mich ist dies die allerletzte Grenze, ein
eigenes, geheimnisvolles Universum, in dem die ungeheure Kraft der Natur wie an
keinem anderen Ort auf der Erde zu spüren ist. Dieser Wald erstreckt sich bis ins
Unendliche und beherbergt ein Zehntel aller lebenden Pflanzen- und Tierarten
– das größte Naturlaboratorium der Welt.
(Zitat aus dem Pressetext zum Buch, Taschenverlag 2021)

Salgados Engagement für die Umwelt ist spätestens seit seinem Buchprojekt „Genesis“ und dem Filmprojekt „Das Salz der Erde“ vielen Lesern bekannt geworden. Mit seinem Herzensprojekt Instituto terra (sehr informative Website) tragen Salgado und seine Frau das Thema durch Schulungen, Studienprojekte und Informationskampagnen weiter in die Herzen und Köpfe der Menschen.

Das Vorwort zum neuen Buch Amazonia ist mit knapp 20 Seiten ausführlich und informativ. Sebastião Salgado führt in das Thema ein, er beschreibt seine persönliche Motivation, seine Vorgehensweise vor Ort wird erklärt und einige kleine Anekdoten – wie Vorbereitung, Kosten und Schwierigkeiten einer Reise- werden ausgeführt. Man erkennt aber auch seine Ängste und Hoffnungen hinsichtlich dieses für die gesamte Menschheit so bedeutsamen Gebietes und der Menschen, die eng mit der Natur verbunden darin leben. Bereits hier wird deutlich, was sich in den Fotos später zeigt, der Regenwald und die dortigen Ureinwohner liegen Salgado sehr am Herzen. Sebastião Salgado ist Fotograf, aber ich lese auch sehr gerne die Geschichten, die vor und nach der Aufnahme spielen und letztlich erst die spezielle Aufnahme möglich gemacht haben, oder auch Side- und Backstories. Vielleicht hat Sebastião Salgado ja einmal Zeit und Muße ein Buch mit Geschichten aus seinem Fotografenleben zu veröffentlichen, kein gutgemachtes Vorwort, keine hastig geschriebene Biographie … ein dickes Lesebuch, mit kleinen Anekdoten, Insider-Stories und natürlich den dazu passenden Fotos.

Das vorliegende Buch, habe ich für mich inhaltlich in  3 Bereiche, 3 grundlegende Arten von Fotos aufgeteilt:

  • klassische Naturfotos
  • dokumentarische Fotos mit und ohne Personen
  • Einzel- und Gruppenporträts

oder auch: Fotos a.) vom Wasser b.) aus der Luft oder c.) vom Boden des Regenwaldes

Die Schwarzweiß-Fotos des vorliegenden Buches sind bei vielen Reisen in das Amazonasgebiet entstanden. Viele Fotos sind in den 2010er-Jahren entstanden, aber auch Fotos der 1980/1990er-Jahren sind in dem Buch enthalten. Salgado hat diesen Teil seines Heimatlandes
erstmals Mitte der 1980er Jahre, nach dem Ende der Militärdiktatur, besucht. Die Reisen in das Amazonasgebiet werden von Salgado immer in Absprache und mit Unterstützung der FUNAI (Behörde, die sich um die Rechte und den Schutz der indigenen Bevölkerung Brasiliens kümmert) durchgeführt. Ohne diese Kooperation, in die auch teilweise das brasilianische Militär eingebunden ist, wären einige der Fotos niemals zustande gekommen. Salgado hatte die Möglichkeit auf Patrouillenflügen seine Fotos zu machen. Teilweise können die besonderen Wetterphänomene des Regenwaldes, der Regenwald macht sein Wetter selbst und ist nicht auf die Verdunstung von Meerwasser angewiesen, erst durch diese Luftbilder von entlegenen Gebieten in der Nähe von Gebirgsketten treffend dargestellt werden. Mich haben diese Fotos sehr stark beeindruckt, man sieht das Verdunsten des Wassers -den Sog nach oben-, die Wolkenbildung und das Abregnen der schweren Wolken teilweise auf einem Bild. Auch die Breite der Flüsse und ihrer Überschwemmungsgebiete sowie das Schlängeln und Winden des Wassers durch den dichten Wald lassen sich nur aus der Luft darstellen.

Viele Bilder sind auch von Booten auf Flüssen oder in den riesigen Überschwemmungsgebieten entstanden. Mir persönlich gefallen diese Bilder in ihrer relativ strengen horizontalen Aufteilung in Wasser (mit oder ohne Spiegelungen), Vegetation (teils fast einheitlich, teils sehr unterschiedlich) und Himmel (teils dramatische Wolkengebilde in Stufen von weiß bis fast schwarz … die sich dann auch wieder in den Spieglungen im Wasser wiederfinden) sehr gut.

Die vielen Porträts von Kindern bis zu Greisen, Männer und Frauen, Jagdgemeinschaften, feiernden und arbeitenden Gemeinschaften sowie ganzen Familien, in ritueller Bekleidung mit Kopf- und Körperschmuck oder in Alltagsszenen, geben dem Bildband ein sehr menschliches Antlitz. Der Regenwald und seine indigenen Ureinwohner sind eine Einheit, in einer (noch) funktionierenden Welt. Dies kommt für mich auf vielen Fotos sehr deutlich zum Ausdruck. Das von Salgado ausschließlich genutzte Schwarzweißbild unterstützt diese Aussage durch seine Zurückhaltung mit der Möglichkeit der Betonung einzelner Elemente  durch die Position im Bild, Führungslinien und anderen gestalterischen Elementen, ohne dass bestimmte Farben zu sehr in den Vordergrund drängen, sich gegenseitig negativ beeinflussen oder einen zu großen Flächenanteil in einem Foto haben. Insbesondere bei den Landschaftsaufnahmen sind die Grauwertabstufungen vielleicht dezenter als das massive Auftreten unterschiedlicher Grüntöne, durchzogen von einzelnen anderen Farbelementen.
Bei dem ein oder anderen Foto (zum Beispiel bei Fotos mit Personen, die Federschmuck auf dem Kopf tragen) kam zwar kurz der Wunsch nach Farbe auf, aber wenn man sich Zeit zum Betrachten der Fotos nimmt und die Details in Ruhe erkundet, waren die Graustufen eigentlich Farbe genug und die persönliche Vorstellung bzw. Interpretation der Realität kam zum tragen. Bei den Porträts findet man im Buch sowohl Personen in ihrem natürlichen Umfeld, als auch Personen in einem improvisierten Feld-Studio. Bei diesem Studioporträts ist der Hintergrund neutral-dunkel gehalten, was die Details der Personen (Schmuck, Bemalung, Muskulatur, Gesichtsausdruck etc.) sehr deutlich hervortreten lässt, es gibt bei diesen Fotos keine Ablenkung durch die Umgebung.

Gestalterische Ästhetik und feine Abstufungen über viele Graustufen zeichnen sicherlich viele Fotos von Salgado aus, aber auch eine Prise Humor kommt in manchen Bildern zum tragen. Auf Seite 182 des Buches prüft ein Mann die  Qualität eines Pfeiles, den er hergestellt hat. Auf weiteren Bildern sieht man ihn auf der Jagd. Die digitale Armbanduhr an seinem Handgelenk zeigt für mich mit einem Augenzwinkern den Zwiespalt, in dem die einzelnen Mitglieder der indigenen Völker teilweise leben. Sie versuchen ihre Identität und ihre Lebensweise zu erhalten, hatten aber Kontakt zur (sogenannten) Zivilisation und werden dadurch, wenn auch manchmal unterschwellig, beeinflusst.

Am Ende des Buches findet man weitere ca. 30 informative  Seiten mit Bildlegenden, Kartenausschnitten und weitergehenden Informationen über einzelne indigene Stämme, was das Buch abrundet. Ich persönlich finde diese Art der Informationsbereitstellung etwas besser, als eingelegte Booklets.

Man unterbricht bewusst das Betrachten der Fotos und kehrt dann auch bewusst wieder zurück.

Die Fotos, auf gut geeignetem Papier gedruckt (Tiefen und Lichter haben gute Zeichnung, Graustufen sind fein differenziert dargestellt und die Haptik ist auch angemessen) sind meist etwas größer als DIN-A4. Trotzdem wurde im Buch auf ausreichenden Weißraum geachtet, um den Augen nach einiger Zeit auch wieder eine Entspannung zu gönnen. Das Buch mit seinem Querformat und seinem Gewicht ist nur bedingt couchgeeignet und als Bettlektüre gänzlich ungeeignet. Das war aber auch sicher nie beabsichtigt, ich habe das Buch -mangels Stehpult- am Tisch gelesen bzw. genossen. Eine Tasse Heißgetränk und dann in aller Ruhe 4-5 Seiten bzw. Fotos länger und genau zu betrachten, das macht echt Freude. Auf den Fotos gibt es oft sehr viel zu entdecken, von gestalterischen Aspekten, wiederkehrenden Elementen, feinen SW-Abstufungen bis zu kleinen Details.
Mich persönlich hat das Buch animiert etwas tiefer in das Thema Regenwald einzutauchen und mir auch andere Quellen dazu zu erschließen.
Ich glaube genau das hat Salgado mit seinem Buch beabsichtigt und es ist ihm perfekt gelungen.

 

Sebastião Salgado: „Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass dieses Buch
in 50 Jahren nicht als Bestandsaufnahme einer verlorenen Welt gelten wird.
Amazônia muss fortbestehen.“
(Zitat aus dem Pressetext zum Buch, Taschenverlag 2021)


(Fotos mit freundlicher Genehmigung des Taschen-Verlags; weitere Bilder aus dem Buch finden sich auch unter dem u.a. Link zur Verlagsseite)

 

Sebastião Salgado. Amazônia
Sebastião Salgado, Lélia Wanick Salgado
Taschen-Verlag Hardcover, 35,8 x 26 cm, 4,19 kg, 528 Seiten
€ 100 | CHF 140
ISBN 978-3-8365-8511-8 (Deutsch)

One Comment

  1. Antworten
    Eleonore Klein 15. Juni 2021

    Ein informativer Beitrag zum Buch. Gerne gelesen.
    Nora

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